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10. Februar 2022: Tag der Kinderhospizarbeit

Trauerbegleitung bei Kindern: „Wir sollten kommunizieren statt schweigen“

Eine unvorstellbar schmerzliche Situation für Familien, ist der Tod eines Elternteils oder des eigenen Kindes. Wie man mit seinen Gefühlen umgeht, um den Abschied zu bewältigen, weiß Sozialarbeiterin Susann Schnabel (43). Sie arbeitet beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) im Vogtland als Familienpflegerin und begleitet – auch darüber hinaus – trauernde Familien im Ehrenamt. Zum „Tag der Kinderhospizarbeit“ gibt sie Einblicke in ihre Arbeit.

Interview mit Kinderhospizbegleiterin Susann Schnabel
 

1. Frau Schnabel, Sie begleiten Familien durch die dunkelsten Momente ihres Lebens. Was bedeutet es für Sie diese Menschen zu unterstützen?
Susann Schnabel: Ich verstehe es als Ehre, Menschen in solch intimen Momenten begleiten zu dürfen. Sterben ist für mich wie geboren werden, nur anders herum: Und bei einer Geburt eines Kindes sucht man sich schließlich auch nur die Person heraus, der man vertraut und die einem Sicherheit gibt.

2. Begleiten sie ausschließlich Kinder oder auch Erwachsene?
Susann Schnabel: Ich begleite Familien. Im Kinderhospizdienst betreue ich Eltern, deren Kind lebensverkürzt erkrankt ist und versterben wird. Hier bin ich gleichermaßen für Eltern, Kinder und Geschwister da. Ich begleite aber auch sterbende Erwachsene, hauptsächlich junge Eltern, die kleine Kinder hinterlassen.

3. Was hat Sie bewegt diesen Weg als Trauerbegleiterin einzuschlagen?
Susann Schnabel: Ich arbeitete viele Jahre als Erzieherin in der Jugendhilfe und suchte zwischen den Geburten meiner beiden Kinder nach einer neuen Aufgabe. 2006 begann ich eine Hospizhelferausbildung, die ich später mit einer Ausbildung zur Kinderhospizbegleiterin und schließlich zur Trauerbegleiterin vertiefte. Für mich ist Trauerarbeit mehr als ein Beruf, es ist Berufung. Deshalb arbeite ich ehrenamtlich im ambulanten Kinderhospiz Westsachsen und in einem ambulanten Hospizdienst in Zwickau. Auch in der ASB-Familienpflege - meinem Hauptberuf - kann ich diese Kompetenzen einbringen. Immer wieder suchen Familien dort Hilfe, die neben einer herausfordernden sozialen Situation zusätzlich mit verschiedenen Verlusten und Trauer konfrontiert werden.

4. Wie sieht die Hilfe, die Sie anbieten, konkret aus?
Susann Schnabel: Jede Familie entscheidet selbst, was ihr guttut. Auch wenn das Thema nichts ist, worüber man gerne spricht. Wir sollten viel mehr kommunizieren als schweigen. In Trauergesprächen gebe ich Eltern Impulse, um ihre Gefühle in Worte zu fassen. Die meisten spüren, dass Kommunikation unglaublich guttut und im Gespräch die Beklommenheit schwindet. Das hilft vielen Eltern und älteren Kindern den Schmerz zu verarbeiten. Auch Netzwerkarbeit zwischen betroffenen Familien gehört dazu. Ebenfalls die Verabschiedung von Sterbenden oder die Vorbereitung einer Beerdigung.

5. Welche Möglichkeiten gibt es darüber hinaus?
Susann Schnabel: Manchen Familien helfen kreative Angebote, beispielsweise das gemeinsame Bemalen von Sarg oder Urne oder eine Trauerkiste, die wir mit schönen Erinnerungen füllen. Ich habe sterbende Kinder und ihre Eltern mit dem ASB Wünschewagen zu ihrem letzten Sehnsuchtsort begleiten lassen. Mit dem umgebauten Krankenwagen ermöglichte das Team des Wünschewagen Sachsen Familien einen letzten gemeinsamen Ausflug. Im Rahmen des Abschiednehmens ist ein solches Angebot sicher ein Höhepunkt für viele Betroffene. Mir geht es bei der professionellen Begleitung von Familien auch im Alltag um Entlassung: Ich kümmere mich um die Geschwisterkinder oder betreue das erkrankte Kind, damit die Eltern Zeit für sich haben.

6. Was bedeutet „professionelle Trauerbegleitung“ für Sie als Fachfrau?
Susann Schnabel: Unter „professionell“ verstehe ich, dass sich der Helfer emotional abgrenzen kann und sich mit seiner eigenen Lebensgeschichte befasst hat. Nur so kann ich eine wirkliche Hilfe sein. Das setzt für mich eine Ausbildung im Bereich Sterbe- und Trauerbegleitung voraus.

7. Trauern Kinder anders als Erwachsene?
Susann Schnabel: Kinder erleben die Trauer eher als in „Pfützen springen“. Von einem auf den anderen Moment wechselt ihre Stimmung. Die Trauerphasen- und -zeiten der Erwachsenen halten meist länger und intensiver an.

8. Was können Große tun, wenn Kleine trauern?  
Susann Schnabel: Wichtig ist zu wissen, dass Kinder je nach Altersstufe unterschiedlich intensiv trauern und ganz anders als Erwachsene. Kinder unter drei Jahren haben kein Zeitgefühl, sie können den Tod noch nicht begriffen. Erklärungen sind in diesem Alter schwierig, man sollte vielmehr auf Gefühle der Kinder reagieren, wie Wut oder Schlafstörungen. Erst für Kinder im Alter von sechs bis neun ist ein realistischer Zugang zum Thema Tod möglich. Man sollte nicht irritiert sein, dass ihr Gemütszustand rasch von Trauer zu Fröhlichkeit übergeht. Ab circa 12 Jahren verbinden Kinder mit dem Tod einen tiefen Schmerz, Trauer und Hilflosigkeit, ähnlich wie wir Erwachsenen.

9. Welche Erfahrungen haben Sie mit Kindern gemacht, die einen Elternteil verlieren mussten?
Susann Schnabel: Ganz unterschiedlich. Aber grundsätzlich bin ich der Meinung, Kinder wachsen über sich hinaus. Kindern denen gewährt wird, vom ersten Moment an trauern zu dürfen, die vorbereitet werden und die so trauen, wie sie es wollen, gelingt es erfahrungsgemäß besser in den Alltag zurück zu finden.

10. Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft bezüglich des Umgangs mit trauernden Kindern?
Susann Schnabel: Mehr Offenheit. Ich wünsche mir, dass an Kinder geglaubt wird und ihre Ressourcen gesehen werden. Ihnen gelingt es oft authentisch und unbefangen mit dem Thema „Tod“ umzugehen. Wenn man sie lässt.

11. Welche Rolle, für trauernde Kinder, spielen weitere Bezugspersonen wie Lehrer*innen und Erzieher*innen?

Susann Schnabel: Wenn Fachpersonal gut geschult wird, ist es für trauernde Kinder ein großer Gewinn. Pädagogen haben so die Chance, auf die Kinder individuell einzugehen. Das Schlimmste, was leider immer wieder in Einrichtungen passiert ist, dass des Thema Tod verschwiegen wird. Ich biete für Fachpersonal auf selbständiger Basis Schulungen zum Thema „Kindertrauer“ an.

12. Wie genau gestalten sich diese Seminare?
Susann Schnabel: Der Hauptinhalt sind die von mir über Jahre gesammelten Fallbeispiele. Ich habe Familien fotodokumentarisch begleitet und darf diese Bilder für Schulungszwecke verwenden. Ein weiterer Teil sind Übungen zur Selbsterfahrung mit dem Thema Tod. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es nicht nur um Tod und Sterben geht. Auch andere Verluste, wie Umzug, Trennung der Eltern, Bruch einer Freundschaft greife ich auf. Auch diese Themen sollten in Einrichtungen professionell begleitet werden.

13. Und wie begreifen Sie selbst den Tod?
Susann Schnabel: Der Tod wird nie mein Freund, aber er ist auch nicht mehr mein Feind. Ich verstehe ihn als eine Art „Partner und Gegenüber“, dem man nicht chancenlos ausgeliefert ist. Der Tod und die damit verbundene Aufgabe lässt mich persönlich dankbarer werden. Der Blick für das Wesentliche wird verändert und geschärft. Meine persönliche Haltung ist über die Jahre viel dankbarer geworden. Für mich gibt es mehr nach dem Tod und das lässt mich hoffnungsvoll in die manchmal ungewisse Zukunft blicken.  

Das Gespräch führte Juliane Federowski
ASB Landesverband Sachsen e.V.

Weiterführende Seminare und Information:

Seminare für Privatpersonen/ Erzieher/ Lehrer:
Susann Schnabel bietet auf selbständiger Basis Seminare und Schulungen zum Thema „Kindertrauer“ an.

Seminare für Pflegepersonal:
Das ASB-Bildungszentrum in Leipzig bietet für Pflegepersonal ab dem 25. April 2022 einen Basiskurs „Palliative Care“ als berufsbegleitende Zusatzqualifikation an. Hier klicken für mehr Infos

Der Wünschewagen Sachsen:
Der Wünschewagen Sachsen ist seit fünf Jahren im Auftrag des ASB in Sachsen unterwegs, um Menschen in ihrer letzten Lebensphase einen Herzenswunsch zu erfüllen, auch Kindern. In einem umgebauten Krankenwagen begleiten ehrenamtlich arbeitende Wunscherfüller*innen Menschen zu ihrem letzten Sehnsuchtsort. Hier klicken für mehr Infos und Spendenkonto 

Finanzierung:
Für Sterbebegleitungen gibt es Pauschalen von den Krankenkassen, Trauerarbeit wird leider trotz großem Bedarf nicht finanziert. Grundsätzlich sind die Vereine auf Spenden angewiesen.